Der Libanon / Libanoninvasion 1982 / Libanon-Flüchtlingen in Deutschland
Der Libanon
Das kleine Land (Bevölkerung 1982 ca 2 Mio, 2021 ca 4,5 Mio) am östlichen Mittelmeer gehörte bis zu seiner Unabhängigkeit im Jahre 1942 zu Syrien. Es war Jahrhunderte Teil des Osmanischen Reichs und stand seit 1918 unter französischer Kontrolle. Die aktuellen Grenzen der Region haben ihren Ursprung in der Aufteilung durch Frankreich und England (Sykes-Picot-Abkommen) im Jahre 1916. Die steilen Gebirge des Libanon dienten religiösen Minderheiten seit jeher als geschützter Rückzugsort. Heute gibt es achtzehn offiziell anerkannte Konfessionen, die mehr oder weniger getrennt voneinander leben. Die Segregation spiegelt sich im Personenstandrecht, das heisst, es gibt keine Zivilehe und damit kaum inter-konfessionelle Familien und keine konfessionsübergreifenden Friedhöfe. Auch die Wohnviertel der Städte und die Dörfer und Regionen auf dem Land trennen sich entlang konfessioneller Grenzen und dem damit einhergehenden ökonomischen Status; ebenso das Bildungssystem. Die Quäkerschule Brummana High School, in der die Geschichte von 1982 spielt und auf deren Gelände der Film gedreht wurde, ist eine der wenigen Ausnahmen.
Während des Bürgerkriegs (1975-1990) waren das Land und auch die Stadt Beirut in konfessionelle und politische Zonen getrennt. Die meisten Kinder in der Geschichte des Films kommen aus Ost-Beirut, das unter der christlich-maronischen Phalangisten, den Verbündeten der israelischen Regierung, stand. West-Beirut, wo Joanna wohnt, war muslimisch geprägt und der Sitz der Nationalen Libanesischen Bewegung (national bedeutet in dem Kontext die Aufhebung des Konfessionalismus und die Forderung gleiche Rechte für alle BürgerInnen) und der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO.
Zum Konfessionalismus
1989-1999: Zehn Jahre Ta’if-Abkommen
(Thomas Scheffler, inamo Nr. 20/1999)
Vor zehn Jahren, am 5. November 1989, ratifizierten die Reste des letzten, 1972 gewählten, libanesischen Vorkriegsparlaments auf dem Luftwaffenstützpunkt Kleyat (Bekaa-Ebene) ein Abkommen, das 62 seiner einst 99 Abgeordneten am 22. Oktober 1989 nach 23-tägiger Konklave in Ta’if (Saudi-Arabien) unterzeichnet hatten. Das in vier Kapitel gegliederte, unter saudischer, algerischer und marokkanischer Vermittlung ausgearbeitete Ta’if-Abkommen, das „Dokument der nationalen Verständigung“, sollte nicht nur den seit 1975 andauernden Bürgerkrieg beilegen, sondern auch einen Konsens für den Nachkriegslibanon festschreiben: Die maronitische Vormachtstellung im Staatsapparat sollte abgebaut, die Verteilung öffentlicher Ämter und Mandate zwischen Christen und Muslimen ausgeglichener gestaltet und die Präsenz syrischer Truppen im Libanon legitimiert werden. Alles in allem zielte der im Ta’if-Abkommen enthaltene Katalog einzuleitender politischer, militärischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Maßnahmen nicht auf eine Revolutionierung, sondern auf eine Reform des libanesischen Herrschaftssystems. weiterlesen (gibt ein gutes Verständnis der Situation im Libanon in den Nachkriegsjahren und hilft die im Film behandelte Zeit tiefer zu verstehen).
Libanon
(Diana Hodali, bpb.de)
Obwohl der Libanon tief in den Syrien-Krieg verstrickt ist, bewahrt das Land mühsam seine Stabilität. Die innenpolitischen Probleme haben die rivalisierenden Parteien immer noch nicht im Griff. Im Mai wird seit 2009 das erste Mal neu gewählt. weiterlesen (gibt Einblick in die neueren Entwicklungen)
Über die langfristigen Folgen des Krieges auf Kinder sowie das Problem der Geschichtsschreibung im Libanon, siehe die englischsprachigen Texte im Hintergrundmaterial zu Bassem Fayad's Diaries of a Flying Dog im mec film Katalog.
Libanoninvasion 1982
Am 6. Juni 1982 begann die israelische Libanoninvasion. Israelische Truppenteile durchquerten die entmilitarisierte Zone der UNIFIL (Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon) im Süden des Landes. Der UNO-Sicherheitsrat verabschiedete daraufhin Resolution 509, die den sofortigen Rückzug der Truppen forderte, aber folgenlos blieb. Die israelischen Streitkräfte drangen unterstützt von der Luftwaffe im Laufe der folgenden Wochen bis nach Beirut vor. Nach mehrwöchiger Belagerung West-Beiruts, wo das Hauptquartier der Palästinensischen Befreiungsorganisatin PLO lag, zog die israelische Armee in Folge massiven internationalen Drucks ab, die PLO verlegte ihre Zentrale von Beirut nach Tunis, internationale Truppen verließen daraufhin ebenfalls das Land. Nach dem Abzug begingen christlich falangstische Milizen auf Geheiß des israelischen Verteidigungsministers Ariel Sharon Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Westen Beiruts. Während die internationale Gemeinschaft Israel zu einer Untersuchungskommission der Massaker drängte, in deren Folge Verteidigungsminister Ariel Sharon und Stabschef Rafael Eitan ihre Posten aufgeben mussten und Premierminister Menahem Begin vom Amt zurücktrat und auf palästinensischer Seite bis heute Untersuchungen zur PLO im Libanon publiziert werden, gib es aufgrund des Konfessionalismus bis heute kein libanesisches Narrativ, das einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs auslöst.Der Libanesische Bürgerkrieg wird in den Schulen nicht unterrichtet, erst 2018 eröffnete auf massiven überkonfessionellen zivilgesellschaftlichen Druck das erste Museum und Kulturzentrum zum Bürgerkrieg in Beirut, das Beit Beirut.
Der Libanon - "Israels Vietnam?"
(Der Spiegel 28.06.1982)
Am Ende der dritten Kriegswoche hatte Israel 35 Prozent des libanesischen Staatsgebietes besetzt, große Teile des Landes in Trümmer gelegt, Tausende unbeteiligter Zivilisten getötet und zum Großangriff auf die in West-Beirut eingeschlossene PLO angesetzt. Doch Israels Kriegsziele gerieten immer mehr ins Zwielicht. weiterlesen
Der unerfüllbare Auftrag
(Vereinte Nationen 6/82, Ensio Siilasvuo)
Die UNIFIL als Negativbeispiel friedenssichernder Operationen der Vereinten Nationen
Als erstes Opfer der Operation >Frieden für Galiläa< wurde die unglückliche UNIFIL, die >Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon<, von den im Juni 1982 in den Libanon einfallenden starken und schwerbewaffneten israelischen Kräften überrollt. Dies war das traurige Ende des vier Jahre währenden beinahe hoffnungslosen Bestrebens, den Frieden und die internationale Sicherheit im Südlibanon zu wahren. Dieser Schlag machte aus der UNIFIL einen machtosen Zuschauer, der zumindest im Augenblick keine wirkliche Aufgabe hat. weiterlesen
Libanon-Flüchtlinge in Deutschland
Im Zuge des Libanonkriegs kamen seit Mitte der 1970er Jahre libanessiche Flüchtlingen in die Bundesrepublik, die größte Gruppe kam nach der Libanoninvasion im Juni 1982.
Sind die Libanon-Flüchtlinge noch zu integrieren?
von Ralph Ghadban (Essen- Alte Synagoge- 26.02.2008)
Die Libanon-Flüchtlinge stellen die ersten Dritte-Welt-Flüchtlinge in Deutschland dar und die ersten Bürgerkriegsflüchtlinge überhaupt. Beide Gruppen waren in Deutschland unbekannt. Unter Flüchtlingen verstand man die Oppositionellen im Ostblock, die seit 1965 nicht einmal Asyl beantragen brauchten, sondern auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis bekamen. Ein Bürgerkriegsflüchtling existierte nicht einmal als Kategorie. Nach dem Grundgesetz (Art. 16) werden nur die individuell vom Staat Verfolgten als Asylberechtigte anerkannt. Im Bürgerkrieg ist es nicht der Fall und die Möglichkeit der Binnenflucht ist gegeben. Die Asylanträge wurden abgelehnt, eine Abschiebung erfolgte aber in der Regel nicht, weil nach der Genferkonvention (Art. 33) eine Abschiebung in ein Land, indem Gefahr für das Leben wegen Gruppenverfolgung besteht, unzulässig ist. ganzer Text
Auch meine Eltern. Meine Rückkehr in den Libanon - oder vom Versuch, mich zu erinnern
von Pierre Jarawan, Heinrich Böll Stiftung 7. Dezember 2017Zum Haus meiner Tante führt ein schmaler Weg, vorbei an kalkweißen Villen und Gärten, in denen Dattelbäume stehen.„Es ist schön, dich zu sehen“, sagt sie, während das Auto über Steine rumpelt, hin zu ihrer Einfahrt. „So lange her, so lange. Du wirst deinem Vater immer ähnlicher, aber deine Augen, die sind von deiner Mutter.“Meine Augen habe ich seit ein paar Minuten geschlossen. Ich versuche, mich an den Geruch von damals zu erinnern, denn das, was ich im Augenblick sehe, verwirrt mich. weiter