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Traum und Erinnerung

Viola Shafik: Interview mit Mohmmed Malas - für Journal Film Nr. 22 Herbst 1990
Bereits 1981 machte der Schriftsteller und Regisseur Mohammad Malas Aufnahmen in palästinensischen Flüchtlingslagern rund um Beirut, unter anderem auch in Sabra und Chatilla. Das Ergebnis ist ein Dokumentarfilm mit höchst ungewöhnlichem Sujet. Durch die nächtlichen Träume der Lagerbewohner eröffnet DER TRAUM (AL-MANAN, 1987) ein Panorama von Ängsten, Traumata und Tod, das nicht nur die harten Lebensbedingungen der Menschen, sondern auch ihr schwieriges Verhältnis zu den arabischen Nachbarn widerspiegelt. Ein Jahr später fielen ein Großteil der Bewohner Sabras und Chatillas einem libanesisch/israelischen Massaker zum Opfer. Im Nachhinein verleiht dieses tragische Ereignis dem Film nahezu prophetischen Charakter.
Mohammed Malas, Jahrgang 1945, studierte Anfang der siebziger Jahre Filmregie in Moskau. In Syrien arbeitete er für das Fernsehen, später für die staatliche Filmorganisation. Hierzulande, das heißt auf dem FORUM DES JUNGEN FILMS in Berlin erregte er mit seinem ersten Langspielfilm TRÄUME VON DER STADT (AHLAM AL-MADINA, 1987) Bewunderung. Bis dahin hatte Malas bereits sechs Kurzfilme gedreht. Zurzeit bereitet er gemeinsam mit Ousama Muhammad seinen zweiten abendfüllenden Spielfilm NOTIZEN ZU EINER STADT (L'LANAT 'AN MADINA) über die Stadt Qunaitra vor. Dieser Film stellt in gewisser Weise - wenn auch eine in die Vergangenheit gerichtete - Fortsetzung seines ersten Films, TRÄUME VON DER STADT, dar.

Was hat Sie zu einem Film über die Palästinenser veranlaßt?

Die Palästinenser sind für mich kein fremdes Thema, dennoch bin ich der Meinung, daß sie selbst am besten über sich berichten können. Trotz meiner Verbundenheit, wollte ich mich nicht ohne weiteres in die Details des palästinensischen Lebens vertiefen, sei es in seiner nationalen, politischen, folkloristischen oder ethnographischen Dimension. Das wäre Selbstbetrug. 1981 bot mir die Vereinigung der Arabischen Dokumentarfilmemacher (ittihad as-sinima'iyyin al-`arab) eine kleine Summe an, mit der ich einen 10-minütigen Film über die Palästinenser realisieren sollte. Ich willigte unter der Bedingung ein, mir selbst einen Aspekt des Themas aussuchen zu dürfen. Damit ist es mir, glaube ich gelungen, eine Sicht zu formulieren, die sich völlig anderen arabischen und ausländischen Betrachtungen unterscheidet. In erster Linie besteht der Unterschied darin, daß ich die Position des Nachbarn, da heißt eines Arabers und nicht der Palästinenser eingenommen habe. Das hatte zur Folge, daß mein Augenmerk mehr auf unsere gegenseitige Beziehung gerichtet habe und weniger auf den Konflikt mit Israel. Der Zuschauer mag bemerken, wie ich gerade die Alpträume hervorgehoben habe, welche die Araber im Leben und Empfinden von Palästinensern verursacht haben.
Mein Anliegen besteht bis heute darin, zu zeigen, wie sich die arabische Welt des palästinensischen Falls angenommen hat: Erst wollte man sich der palästinensischen Sache bedienen und als dazu keine Möglichkeit mehr bestand, war man schließlich darum bemüht, ihr Schaden zuzufügen.

Ich als Zuschauerin empfand aber eine starke Nähe zu den Palästinensern, zumal Sie ein sehr intimes Thema aufgegriffen haben, den nächtlichen Traum, den man normalerweise nur Freunden oder Verwandten erzählt.

Das ist ein weiterer Punkt, der in keinem Widerspruch zum vorigen steht. Damit sie davon sprechen können, was andere mit ihnen gemacht haben, muß man den Palästinensern nahe stehen. Darum habe ich das Intimste ausgewählt, habe das preisgegeben, was nicht preiszugeben wäre. Der Kampf zwischen Israelis und Palästinensern ist ebenso zulässig wie öffentlich, der arabisch-palästinensische Konflikt aber bleibt eine interne Angelegenheit, spielt sich insgeheim ab. Ihre gemeinsame Geschichte ist vergleichbar mit Josef und seine Brüdern. Um von einem brüderlichen Verhältnis reden zu können, muß man ihm angehören. Ich bin den Palästinensern verbunden emotional, seelisch und menschlich. Diese Nähe aber stellt keinen Widerspruch zur Distanz dar, die ich dem Aufbau des Films zugrunde gelegt habe. Ich benutze die Distanz nur, um von uns selbst, den Arabern, zu reden.“

Was mir an Ihrem Filmen TRÄUME VON DER STADT und DER TRAUM auffällt, ist das Interesse an Träumen und den verborgenen, nicht sofort konkretisierbaren Gefühlen. Wird sich das in Ihrem neuen Film fortsetzen?

Mir scheint, daß die Filme jedes Regisseurs Ausdruck seiner heimlichen Sorgen sind.


Doch wohl nicht jedes Regisseurs!

Nicht alle, aber ich spreche vom Regisseur und Autor. Da wir unsere Themen und Drehbücher zumeist selbst erarbeiten, handelt es sich nicht einfach um die Adaption irgendeines Projektes, sondern um Äußerungen, in denen sich innere Vorstellungen und Ängste widerspiegeln.
Um etwas vom Thema abzuweichen. Ich persönlich empfinde keinerlei Unruhe, weil ich fünf Jahre lang keinen Film verwirklichen konnte. Es ist nicht meine Art, all- oder zweijährlich einen Film zu drehen, nur um meine technischen Fertigkeiten unter Beweis zu stellen. Film stellt für mich ein persönliches Ausdrucksmittel dar und kein Handwerk, das mir materiellen und moralischen Gewinn sichern muß. Es ist das einzige Medium, welches ich zu handhaben gelernt habe. Aus diesem Grund platziere ich mich an einen begrenzten, speziellen Ort innerhalb der Film- und Cineastenlandschaft. Insbesondere deswegen, weil ich nur Filme realisiere, die unsere inhärente Unruhe und Besorgnis ausdrücken. Sie hängen sowohl mit mir als Mensch und Einzelperson, als auch mit mir als Produkt einer gesamten Generation, einer bestimmten Epoche, Gesellschaft und eines bestimmten Landes zusammen. Darum besteht zwischen all meinen Filmen ein Zusammenhang, angefangen bei den Titeln (TRAUM EINER KLEINEN STADT, ERINNERUNG, TRÄUME VON DER STADT, DER TRAUM, NOTIZEN ZU EINER STADT) bis zu den Inhalten.
In NOTIZEN ZU EINER STADT gehe ich noch einen Schritt weiter als früher und betrete diesen Raum in uns auf neue Weise. In den bisherigen Filmen bot die Erinnerung das Material, den speziellen Bezugspunkt. Jetzt entwickelt sie sich zum Gegenstand des Zweifels und der Fragen. Sie gibt keine Antworten mehr. NOTIZEN ZU EINER STADT baut auf vier Erinnerungsformen auf: Mit der ‘Erinnerung der Gelüste’ erwecke ich Zweifel an der Echtheit der Erinnerung. Die ‘erzählte Erinnerung’ dagegen spricht für das Recht des Zuhörers, vernommenen Erinnerungen selbständig in Bilder umzusetzen, während die tatsächliche Erinnerung einen Teil der visuellen beziehungsweise erlebten Welt bildet. Indem ich versuche Zweifel zu erwecken, kann ich schließlich eine vierte und spezielle Form der Erinnerung schaffen, eine ‘imaginierte Erinnerung’, ein Erinnern der Zukunft und weniger der Vergangenheit.

Was hat Sie dazu gebracht, der Erinnerung einen solch realen Charakter zu verleihen, eine Erinnerung, die sich so sehr die Bahn bricht, daß man sogar an ihr zweifeln muß?

Unter dem Wasser der Erinnerung verbergen sich die wirklichen Fragen. Dort, wo sie an die Oberfläche geschwemmt werden, setzt der Versuch an, Antworten auf die Sorgen einer ganzen Generation zu finden, Antworten zur Situation der arabischen Welt, sei es auf nationaler, gesellschaftlicher oder politischer Ebene und auf die Frage, was aus den Träumen geworden ist, mit denen man unser Blut verspritzt hat. Ich will eine Entwicklung der Erinnerung, nicht nur, um existentiell wichtige Fragen in unserem Inneren aufzuwerfen, sondern auch um die gesellschaftliche Realität zu erfassen. Deswegen habe in TRÄUME VON DER STADT die Zeit von 1953 bis zur Einheit zwischen Syrien und Ägypten aufgegriffen, damit ich von der Diktatur 1954 und vom nachfolgenden demokratischen Versuch sprechen kann. In meinem neuen Film gehe ich nicht nur der Frage auf den Grund, sondern auch der historischen Epoche, dringe vor zu den Jahren 1936 bis 1949. Diese Rückkehr in Raum und Zeit dient dem Ziel, den Kern des Themas, den Kern der Frage zu erfassen: Wodurch ist die aktuelle Situation unser Region - auf nationaler, gesellschaftlicher, politischer und menschlicher Ebene – zustande gekommen.

 

 

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