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Die Reisseurin über den Film / Der Prozess

Die Reisseurin über den Film
Vor ein paar Jahren begann mir das Bild von Erwachsenen, die auf Schaukeln nebeneinander hin- und herschwingen, durch den Kopf zu gehen. Irgendwie verkörperten sie die Idee von Instabilität, Ungleichgewicht, Unbeständigkeit; sie schwangen in einer binären, wiederkehrenden Bewegung hin und her wie ein Pendel, jeder in seinem eigenen Tempo, nie wirklich zeitgleich. Diese sich wiederholende Bewegung entsprach irgendwie ihrer inneren Verfassung: immer im Fluss, ohne jede Verankerung, ohne völligen Stillstand. Ich begann mich für die Beziehung zwischen physischer Mobilität/Stillstand und inneren Schwankungen zu interessieren.
Bei mir weckten Schaukeln vor allem Erinnerungen an die Unbeschwertheit der Kindheit, an den Schwung, den neue Möglichkeiten verleihen … und plötzlich fiel mir auf, dass wir mit zunehmendem Alter einfach damit aufhören, bestimmte Körperhaltungen einzunehmen. Als wäre es völlig sinnlos und verrückt, ohne praktische Gründe auch nur für wenige Sekunden den Kontakt zum Boden zu verlieren. Ich war mir nicht sicher, ob Erwachsene auf einer Schaukel echte Freude ausstrahlen, einen Anstoß/Antrieb geben oder den Eindruck eines regressiven Verhaltens erwecken würden, oder ob die Repetitivität ihrer Bewegungen suggerieren würde, dass sie in einem dauernden Zustand der Ungewissheit feststecken. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus alldem. Für den Anthropologen Marcel Jousse entspricht das Schaukeln der ersten Bewegung, die ein Baby erfährt, wenn es in den Armen seiner Mutter gewiegt wird; das könnte unser ambivalentes Gefühl vielleicht teilweise erklären. (Sarah Francis)

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Der Prozess
Die Erfahrung des Filmemachens und der Film selbst waren untrennbar miteinander verbunden. Ich hatte keinen fertigen, starren Plan im Kopf, der nur noch realisiert werden musste; und genau das gefällt mir am Filmemachen. Auch angesichts der begrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen bestand die einzige Möglichkeit, dieses Projekt in Angriff zu nehmen, darin, den organischen Prozess des Drehens als festen Bestandteil des Films zu betrachten, ihm zu vertrauen und den Film sich nach und nach entfalten zu lassen.
Die Vorstellung eines richtigen Castings kam mir dabei etwas unpassend und seltsam vor. Stattdessen wollte ich, dass die in diesem Film mitwirkende Gruppe aus zufällig zusammengewürfelten Personen besteht. Sie sollten wie die Passagiere der Arche Noah in diesem Land ankommen, bereit, eine neue Welt zu gestalten oder in der alten weiterzuleben. (Sie sollten noch nicht einmal paarweise kommen oder irgendeine bestimmte Gruppe repräsentieren; sie sollten einfach nur Menschen sein, die so zufällig wie möglich dorthin gelangen.)
Als der Bus am Drehort eintraf, traf ich die Darsteller*innen zum ersten Mal. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur Minibilder von ihnen gesehen und keine Ahnung, wer sie waren: Ich wollte die Spannung erhalten, die flüchtigen Begegnungen und temporären Räumen innewohnt. Schließlich wurden auch der Mann, der die Schaukel für uns gebaut hat, der Busfahrer sowie einige Mitglieder der Filmcrew Teil der Besetzung. Wir trafen uns alle dort in der Sonne und durchstreiften eine Zeit lang dieses weite, offene Land.
Mich reizt es häufig, ereignisorientierte Erzählweisen zu durchbrechen und Elemente der von uns wahrgenommenen Welt zu zerlegen, um sie in der Hoffnung, neue Betrachtungsweisen zu entdecken, neu zusammenzustellen. Sobald der Schauplatz einmal festgelegt war, konnte innerhalb oder außerhalb des Bildes alles ungehindert geschehen. Ich wusste bereits, dass ich das Navigieren in neue Gebiete und deren Erschließung untersuchen wollte – bei diesem Thema dachte ich oft an die Schriften von Mircea Eliade. Ich wusste auch, dass ich eher die Erfahrung der Reise als eine ereignisbasierte Erzählung darstellen wollte. Die Kartierung eines inneren und eines physischen Bereichs begannen sich bald zu überlappen: Die innere Gefühlslandschaft wurde auf ein physisches Gebiet übertragen/projiziert, und die Schritte des Menschen erkundeten es wie ein Stethoskop. Ich wusste, dass die Klangumgebung es mir erlauben würde, geografische Regionen zu durchqueren, immer auf der Suche nach einer impressionistischen Gestaltung von Raum und Erfahrungen, die der Art und Weise entspricht, wie wir eine Erfahrung wahrnehmen, und nicht der, wie sie üblicherweise erzählt wird. Die Betrachter*innen sollten auch am Schaffensprozess teilhaben können: Weil sich Chaos und Konstruktion abwechseln, waren wir alle aufgerufen, die Landschaft des Geistes zu erforschen.

Den Mond entdeckte ich später im Schneideraum, als ich in meiner Timeline mit dem Filmmaterial vom Vortag spielte. Plötzlich hantierte ein Mann wie ein Forscher mit seiner Taschenlampe herum, und ihr Licht sah wie ein Mond aus. Ich mochte diese ‚Gadget’-Anmutung meines Mondes! Der wunderbare Mond hat im Laufe der Menschheitsgeschichte so viele Gedanken und Mythen, so viele Werke der Literatur und Kunst inspiriert und prägt unsere kollektive Fantasie seit Tausenden von Jahren. Trotzdem ist er nun zu einem weiteren Gebiet geworden, das nur darauf wartet, ausgebeutet, kolonialisiert und von unserem globalisierten kapitalistischen Planeten vereinnahmt zu werden. Mein Mond wurde mit einer Taschenlampe erzeugt. Der junge Mann, der damit herumspielte, sah manchmal wie ein Dieb aus und manchmal wie ein Kind, das in einem chinesischen Schattenspiel alle möglichen Geschichten erfindet. Mein Mond war geheimnisvoll und nutzlos; er erschien wie ein Spielzeug, auf das wir alle großen Pläne der Menschheit ebenso wie ihre belanglosen privaten Geschichten projizierten.
Auf Arabisch heißen Satelliten wörtlich übersetzt ‚künstliche Monde‘. Es war eine seltsame Erkenntnis, dass wir in dem Maße, in dem unsere Obsession für die Anhäufung von Informationen, Erinnerungen und Selbstbeschreibungen wächst und auf uns lastet, unsere eigenen Monde geschaffen haben, um uns zu entlasten. Es ist, als hätten wir durch das Hochladen von Informationen die Last irgendwie hochgehoben, anstatt sie abzulegen, als wollten wir sie einem höheren Wesen darbringen. Monde als Vermittler, Wolken als Dächer – all unsere Avatare mussten erreichbar sein, aber dennoch auf einem gewissen Abstand gehalten werden. Je mehr die globalisierte Welt unsere kollektive Psyche und das Schicksal unseres Planeten dominiert, und obwohl wir aufgefordert sind, uns auf eine einzige Geschichte einzustimmen, bleibt die Reihe von Symbolen und Kodes, auf die wir uns kollektiv oder individuell einigen, bisweilen unbegreiflich. Mir kommt es immer noch so vor, als würde eine Geschichte, je näher wir ihr kommen, desto schneller ihre Konsistenz verlieren und sich vervielfachen.
In diesem Film versuche ich eine kleine Geschichte über den Mond zu erzählen, und dafür musste ich meine Taschenlampe nehmen und nach den Elementen suchen, die sich mir nach und nach offenbaren wollten; musste ich durch das Unbekannte navigieren, wie ich durch ein unbekanntes Gebiet navigieren würde. So wie die Figuren, die in der immer wiederkehrenden Landschaft gefangen sind, den Beginn und das Ende des Lebens gleichzeitig zu verkörpern schienen, war auch ich nicht sicher, wo etwas begann und wo es endete, und schwankte ständig zwischen dem Großartigen und dem Unbedeutenden. Nur aus dieser Perspektive ergab alles einen Sinn für mich. Aus der Ferne und aus der größtmöglichen Nähe erschienen mir alle möglichen Wirklichkeiten impressionistisch, zerbrechlich und seltsam miteinander verwoben. (Sarah Francis)

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