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Exil auf dem Mond: Larissa Sansour

von Claus Löser für FILMDIENST 10/2017
Über die palästinensische Künstlerin Larissa Sansour

Die Filme von Larissa Sansour sind sowohl künstlerisch als auch politisch. Wobei sie sich der Komplexität des Lebens im Nahen Osten auch mit Referenzen an das Genrekino annähern, etwa dem Science-Fiction-Film, dem Italo-Western oder dem Horrorfilm. Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen widmen Larissa Sansour in diesem Jahr eine Werkschau.

Eine Frau mit Rollkoffer begibt sich in ein perfekt durchorganisiertes Abfertigungssystem. Sie durchmisst endlos lange Flure, gleitet mit Rolltreppen und Fahrstühlen durch schattenlose Hallen, passiert problemlos alle Kontrollstellen. Zuletzt erreicht sie ihr Ziel: ein komfortables, aber doch irgendwie auch anonymes Apartment der oberen Preisklasse. Sie öffnet die Rollläden und blickt nach außen. Dort liegt das Heilige Land, ihre Heimat. Doch dieser Zustand erweist sich als virtuell, stellt vielleicht eine Holografie dar oder befindet sich auf dem Mond. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Simulation. Denn diese Reisende wird immer unterwegs sein. Alle Aufenthaltsorte befinden sich im Transit, stellen immer nur Übergänge dar, niemals Heimaten.

Intelligentes Spiel mit doppelten Böden
Die Frau mit dem Rollkoffer ist Larissa Sansour. Sie spielt in ihrem 2012 entstandenen neunminütigen Video „Nation Estate“ (2012) auch die Hauptrolle. Die palästinensische Künstlerin wurde 1973 in Jerusalem geboren und wuchs in Bethlehem auf. Nach Studienaufenthalten in Kopenhagen, New York und London gehört sie inzwischen zu den gefragtesten aus dem Nahen Osten stammenden Künstlerinnen.
„Nation Estate“ ist der mittlere Teil einer zwischen 2008 und 2015 entstandenen Science-Fiction-Trilogie, mit der sie in der Kunstszene bekannt wurde. Die Hinwendung zum Genrekino und zur Trivialkultur allgemein stellt ein elementares Mittel ihres artistischen Konzepts dar. Ihr gelingt es damit, einer sonst allzu schnell von Betroffenheit grundierten Stimmung ihrer Sujets zu entkommen. In ihren Arbeiten geht es zwar um die großen Themen, die mit der Region ihrer Herkunft assoziiert werden – Vertreibung, Okkupation, Segregation, behördliche Demütigung und permanenter Bürgerkrieg –, doch ist ihr Ansatz dabei stets ein ironischer. Das Zitieren aus dem akustischen und ikonografischen Fundus der Kinematografie erlaubt es ihr, doppelte Böden einzuziehen und eine Distanz zu den verhandelten Problemen herzustellen.

In ihrer Science-Fiction-Trilogie hat sie dieses Verfahren zur Perfektion entwickelt. Der in Zusammenarbeit mit Søren Lind entstandene Abschluss der Trilogie, „In the Future, They Ate From the Finest Porcelain“ (2016), geht noch einen Schritt weiter. Nun agiert Larissa Sansour nicht mehr selbst vor der Kamera. Ihr Alter ego wandelt durch eine postapokalyptisch wirkende Wüstenlandschaft, deren spärliches Personal in historisierten Tableaus aufgestellt ist. Aus über dieser Szenerie gleitenden Raumschiffen werden Kapseln mit kunstvoll bemalten Porzellantellern abgeworfen, die sanft zur Erde niederschweben. Das wirkt ebenso rätselhaft wie erhaben, speist sich aber aus sehr reellen Hintergründen. Figuren und Gegenstände verweisen auf die Historie der Prä-Nakba-Zeit, also auf die Ära vor 1948. Im Rahmen des israelischen „Nation Building“ kam und kommt es zur massiven Instrumentalisierung der Archäologie. Ausgrabungen und zeitliche Zuschreibungen sollen beweisen, dass die Region von jeher jüdisches Kulturland war. Im Umkehrschluss wird der arabischen Bevölkerung eine eigene Geschichte abgesprochen. Das Porzellan steht als Synonym für eine palästinensische Identität, die viele Jahrhunderte zurückreicht, allerdings eben sehr zerbrechlich ist.

Im Gegensatz zur verfeinerten Ästhetisierung von „In the Future...“ geht es in „A Space Exodus“ (2009), dem ersten Teil der Trilogie, noch wesentlich direkter und humorvoller zu. Hier spielt Sansour eine Astronautin, die auf dem Mond eine Flagge mit den Nationalfarben ihrer Heimat einpflanzt. Damit wird die Grundlage für einen Nationalstaat geschaffen, der offenbar auf dem Mond wahrscheinlicher zur Realität werden kann als auf der Erde. Dieser „kleine Schritt für einen Menschen, aber große Schritt für Palästina“ wird mit den pathetischen Fanfaren aus Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ unterlegt – was natürlich ebenso wie der Titel auf Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ verweist.
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