Amour fou
Ein Film über Fassbinder und El Hedi ben Salem
In Rainer Werner Fassbinders Film "Angst essen Seele auf" liebt Brigitte Mira trotzig einen Schwarzen. Der Film wurde in Cannes gefeiert und gilt als wegweisend. Die Wirklichkeit hinter der Fassade sieht düster aus. Die männliche Hauptrolle spielte El Hedi ben Salem, ein Marokkaner, den Fassbinder in Paris förmlich aufgabelte, nach Deutschland brachte und zu seinem Liebhaber machte. Die Filmhistorikerin und Regisseurin Viola Shafik hat Ben Salems Geschichte in einer Dokumentation filmisch rekonstruiert.
Auch wenn über Fassbinder scheinbar schon alles gesagt ist, wurde doch eine Geschichte noch nie erzählt. Sie handelt von Liebe und Ausbeutung. Als das Kinogenie Fassbinder 1982 stirbt, hinterlässt er 42 Spielfilme, in 13 Jahren einem viel zu kurzen Leben abgetrotzt. Heute sind viele seiner Filme auf DVD zugänglich, darunter der großartige Klassiker "Angst Essen Seele auf" (1974). Der Film ist ein entschiedenes Statement gegen Rassismus, in einer miefigen Bundesrepublik, der die Nazi-Ideologie noch in den Eingeweiden sitzt. Brigitte Mira spielt eine Putzfrau, die sich in einen Schwarzen verliebt - eine Ungeheuerlichkeit. Brigitte Mira kennt heute jedes Kind, aber wer spielte eigentlich Ali?
Der Regisseur und der Einwanderer
Die Filmhistorikerin Viola Shafik ließ die Geschichte von El Hedi ben Salem nicht mehr los. Was kaum jemand weiß: Der Marokkaner war drei Jahre lang Fassbinders Lebensgefährte - eine Amour fou zwischen dem Regisseur und dem Einwanderer, einem ungleichen Paar. "Rainer Werner Fassbinder, der einen antirassistischen Film dreht und der dann aber in eine unglückliche Liebesgeschichte mit einem Nordafrikaner verstrickt ist, der auch noch eine sehr dunkle Hautfarbe hat und in diese Beziehung einen Unterwerfungsmechanismus mit eingebaut hat", so die Regisseurin. Eigentlich sei das genau das, wogegen Fassbinder in seinem eigenen Film arbeite.
Dieser Widerspruch interessiert Viola Shafik. In ihrem Dokumentarfilm "Ali im Paradies" versucht sie gar nicht erst, ihn aufzulösen, sie spürt ihm nach: In Paris lernen sich Ben Salem und Fassbinder kennen, war es in einem Café? Oder in einer Männersauna? Es gibt viele Versionen dieser schicksalhaften Begegnung. Unbestritten ist: Fassbinder war von diesem Mann elektrisiert. Sie werden ein Paar und der Regisseur macht Ben Salem zum Schauspieler, setzt ihm ein filmisches Denkmal. Es war eine typische Fassbinder-Liebe voll Eifersucht und Verlangen, mit einer Prise Selbstzerstörung. Nichts Besonderes also. Doch als Fassbinder nach drei Jahren Schluss macht, hat das eigentliche Drama längst begonnen. Es ist das Drama zweier Kinder. Denn Viola Shafik findet heraus, dass Ben Salem in Marokko eine Frau und vier Kinder zurückgelassen hat. Fassbinder träumt von einem Familienidyll und lässt zwei Söhne nach Deutschland holen.
Gewalt, Drogen, Alkohol
Ben Salems Familie lebt heute verstreut in Nordafrika. Als die Regisseurin sie findet, sind alle erleichtert, dass sie endlich ihre vergessene Geschichte erzählen können. Der Jüngere der Brüder hat Glück, er wird von Fassbinder bald zurückgeschickt, aber der ältere muss in Deutschland bleiben, wo sich keiner um ihn kümmert. Er wird herumgeschubst: München, Köln, Bochum. Die sogenannte Fassbinder-Familie ist keine Familie, sie ist die Hölle: Gewalt, Drogen, Alkohol. Als Fassbinder Schluss macht, verlässt Ben Salem überstürzt Deutschland. Sein Sohn bleibt zurück, doch ohne Papiere kann er jahrelang nicht ausreisen.
"Es ist eigentlich auch eher die Frage, warum der Vater seine eigene Frau verstößt, nur um seinem Regisseur einen Gefallen zu tun", sagt Viola Shafik. "Die Familie auseinander reißt, die Kinder der Mutter wegnimmt und sie dann nach Deutschland bringt. Es ist der Vater auch gewesen, der sich so stark hat in Abhängigkeit bringen lassen, dass er das gemacht hat mit seinen eigenen Kindern. Das muss man auch sehen. Und man darf den Vater nicht nur als Opfer sehen, sondern man muss ihn auch in die Verantwortung nehmen."
Geschichte über Verlierer
Es ist eine Geschichte, die nur Verlierer kennt. Viele Jahre hat Shafik recherchiert, auch im Filmmuseum Frankfurt. Sie stößt auf Widersprüche und Mythen. Wer war Ben Salem wirklich? Keiner weiß es. Doch Shafiks Film zeigt, dass Rassismus ein hartnäckiger Schmutz ist, der sich nicht so leicht auswaschen lässt. Das Verblüffende: Fassbinders Clique redet sich im Film um Kopf und Kragen. Das habe sie sehr interessant gefunden, sagt Shafik. "Dass die Figuren sozusagen, die Charaktere, die in meinem Film vorkommen, tatsächlich alle noch so denken, wie sie damals gedacht haben. Dass sie unberührt scheinen von dem allgemeinen Diskurs und von der Scheu in Deutschland, mittlerweile seine Ausländerfeindlichkeit offen zu zeigen. Es ist ja auch genau diese Idee, ob wir unsere Ausländerfeindlichkeit losgeworden sind oder ob wir einfach nur besser gelernt haben sie zu vertuschen."
El Hedi ben Salem stirbt 1976 in einem französischen Gefängnis an einem Herzinfarkt. Fassbinder widmet ihm seinen letzten Film "Querelle". Ben Salem aber ist unsterblich - in einem großen Film über Rassismus.
12.11.2012 / Teresa Corceiro (Kulturzeit)
Texte über den Film
Fassbinder essen Seele auf
Jedes Milieu hat seine Helden. Bei den Autorenfilmern ist es der zum Genie erhobene Rainer Werner Fassbinder. Weil er so schön anarchistisch war und weil er dem Bürgertum die Maske der Doppelmoral von Gesicht riss, etwa im Film „Angst essen Seele auf“, ein provokatives Rührstück über den alltäglichen Rassismus in Deutschland. Nun deckt ein mutiger Dokumentarfilm (2011) von Viola Shafik das scheinheilige Herrenmenschentum von Fassbinder und seiner Clique auf. Der Film ist eine Sensation. Merkwürdigerweise nimmt die Filmszene Shafiks Enthüllungen nicht zur Kenntnis: Selbst Wikipedia verschweigt sie zur Gänze: sowohl im Eintrag zu Fassbinder als auch zu El Hedi ben Salem, der in „Angst essen Seele auf“ die männliche Hauptrolle spielte. Das Drama geht nämlich um ihn, der auch drei Jahre lang Fassbinders Lebensgefährte war. Ein ungleiches Paar, bei dem der Deutsche bestimmte und der Einwanderer gehorchte. Ihre Beziehung hatte, so Shafik, „einen Unterwerfungsmechanismus", der so ziemlich genau das enthielt, „wogegen Fassbinder in seinem eigenen Film arbeitete“.
Was Shafik herausfindet wäre schon einen Wikipedia Eintrag wert: Fassbinder träumte von einem Familienidyll und lässt zwei Söhne Ben Salems nach Deutschland holen, ganz genderunkorrekt gegen den Willen der Mutter. Als Fassbinder nach drei Jahren Schluss macht, ist der jüngere Sohn bereits zurückgeschickt, aber der ältere bleibt hier. Ohne Papiere kann er jahrelang nicht ausreisen, keiner kümmert sich um ihn. „Die sogenannte Fassbinder-Familie ist keine Familie, sie ist die Hölle: Gewalt, Drogen, Alkohol“, kommentiert 3sat, die als eine der wenigen über Shafiks Film berichten.
3sat weist auf das eigentlich Verblüffende hin: „Fassbinders Clique redet sich im Film um Kopf und Kragen. Das habe sie sehr interessant gefunden, sagt Shafik. "Dass die Figuren sozusagen, die Charaktere, die in meinem Film vorkommen, tatsächlich alle noch so denken, wie sie damals gedacht haben. Dass sie unberührt scheinen von dem allgemeinen Diskurs und von der Scheu in Deutschland, mittlerweile seine Ausländerfeindlichkeit offen zu zeigen. Es ist ja auch genau diese Idee, ob wir unsere Ausländerfeindlichkeit losgeworden sind oder ob wir einfach nur besser gelernt haben sie zu vertuschen." Die Clique versteckt sie jedenfalls nicht in diesem Film, wo Äußerungen wie: „Die Kinder mussten erst zweimal in die Badewanne gesteckt werden, bevor man sie unter Menschen lassen konnte“, oder: „Die Kinder haben ja in die Ecken gepisst, die mussten ja erst einmal lernen wie man eine Toilette benutzt“, noch harmlos sind.
16.11.2012 / Max A. Höfer