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Text über den Film

Working Class Heros
Jéyé men waral ba’ar – Sie kommen nach den Kühen. Dieser libanesische Ausdruck bedeutet, dass eine Person qua Geburt eine schlechte Abstammung hat. Dass sie nicht zu den angesehenen Familien gehört, die die Salons bevölkern wo man auf Französisch gluckst. Kurzum, ein Habenichts, ein weniger als nichts, fast ein Untermensch.
Jéyé men waral ba’ar. Das spricht man mit herabgezogenem Mundwinkel aus, mit dem schiefen Gesicht des Ekels und einer Geste der Herablassung. Das ist die größte Schmach, die ultimative Beleidigung, die Über-Verletzung.

Dennoch, in seinem sehr schönen Dokumentarfilm The One Man Village erzählt uns Simon El Habre vom Alltag eines Mannes, der allein unter Kühen lebt. Sein Onkel.
Während alle guten Libanesen sich ständig mit einem glorreichen Ahnen rühmen und sich nicht existent fühlen, wenn sie sich nicht mit einer vornehmen Genealogie oder prestigereicher Anverwandtschaft brüsten können, traut sich Simon El Habre nicht nur diesen komplexen Blödsinn zu zerschlagen, sondern er wagt es sogar seine Herkunft „nach den Kühen“ zu reklamieren.
Er beansprucht sie nicht mit erhobener Faust oder wehender Fahne, sondern mit Delikatesse, mit Puder, mit Grazie.  […]

In seinem neuen Dokumentarfilm Gate #5 , erzählt er von seinem Vater, einem ehemaligen LKW-Fahrer, der Taxifahrer wurde, mit dem rauen Gesicht eines alten Boxers, von tiefen Furchen aus schweren Zeiten gekennzeichnet.
Immer mit Delikatesse und Puder offenbart sich ein Vater seinem Sohn. Einem Sohn der zuhört, manchmal nachfragt, ohne jemals in eine einfache Komplizenschaft zu fallen. Ohne Violinen oder Tremolo.
Ein Sohn der zu unseren Gunsten eine Gruppe Menschen besucht, farbenfroh, spöttelnd, lachend und manchmal verlogen: die LKW-Fahrer, die das berühmte Becken Nummer 5 im Hafen von Beirut bevölkern. Einige erzählen von der Zeit vor dem Krieg, vor der Fäulnis, die alles zerfressen hat, bevor der Libanon ein Puff wurde. Andere verlieren sich in Kriegserinnerungen oder sie erfinden Heroismus und unglaubliche Abenteuer. […]

Ich werde ihnen nicht die Freude an der Begegnung mit all den Details dieses schönen kleinen Dokumentarfilms verderben. Ich ziehe es vor, sie einzuladen, den Film zu sehen und diese Reise ins Herz der Menschlichkeit anzutreten. Eine schlichte Menschlichkeit, aufrichtig, weit entfernt vom Snobismus, der die zunehmend ungerechte, zunehmend künstliche, zunehmend mittelmäßige und zunehmend stumpfsinnige libanesische Gesellschaft aushöhlt.
Man muss die Filme von Simon El Habre immer wieder sehen, nicht um dem libanesischen Kino zu helfen, wie häufig gesagt wird, sondern um uns selbst zu helfen. Um uns verstehen zu helfen, dass das die wahre Noblesse ist. Die der kleinen Leute, der Bescheidenen, der Unsichtbaren. Der alltägliche Heroismus ist der von Menschen, die zu lange geschwiegen haben. 
Claude El Khal, Libnanews am 10.5.2012

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