Der Regisseur über den Film / Interviews mit dem Regisseur
Director’s statement
Wenn abnormale Zustände wie Barrikaden und Besatzung alltägliche Realität werden, werden Liebe und Heirat zu Fiktion. So sieht das Leben in Palästina heute aus. Dies wollte ich mit den Mitteln des Kinos ausreizen. Im Film versucht man oft, Realität zu diktieren um Fiktion zu kreieren, seinen eigenen Ort und seine Zeit in der Gegenwart zu schaffen. Aber Realität lässt sich nicht einfach diktieren, besonders nicht in Palästina. Bei diesem Film hatte ich das Gefühl, die Realität diktiere mich. Es wurde ein verdammter Kampf zwischen Realität und Fiktion in einem Land, in dem das Normale absurd erscheint und das Absurde normal. Ich habe erkannt, dass der Kampf fair sein und ich – um ihn zu gewinnen – ehrlich bleiben muss. Denn wenn du deinen Ängsten, deiner Kreativität und deinen Schwächen – und denen deiner Umgebung – ehrlich und aufrichtig begegnest, dann werden dich dein Instinkt und deine Spontaneität nicht im Stich lassen. Obwohl es keine Sieger gibt, kann die Herausforderung dieses verwirrenden Kampfes selbst zu einer außergewöhnlichen Erfahrung werden. Einen Tag im Leben einer jungen palästinensischen Frau zu beobachten, wurde zur Suche nach Realität und Fiktion, Schönheit und Trost, Passion und Obsession, Verwirrung und Ehrlichkeit in der Wüste von Wahl und Kompromiss, die der Film ist ... und das Leben. Der Film berührt mich noch immer. Ich weine, obwohl ich ihn hundert Mal gesehen habe. (Hany Abu-Assad)
„Durch die Besatzung wird alles irreal“ - Interview mit Hany Abu-Assad in die tageszeitung, 22.1.2004
Wie dreht man ein Roadmovie, wenn man sich nicht ungehindert bewegen kann? Ein Gespräch mit dem palästinensischen Regisseur Hany Abu-Assad über seinen Spielfilm „Rana’s Wedding“, das neue Genre des Road Block Movies und die Notwendigkeit, die Traumata der Israelis anzuerkennen
Interview Cristina Nord
taz: Herr Abu-Assad, Sie haben unter anderem an einem Checkpoint zwischen Jerusalem und Ramallah gefilmt, ohne dafür eine Drehgenehmigung zu haben. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Hany Abu-Assad: Als wir dort drehen wollten, sagte man uns: „Nein, das geht nicht. Das ist militärisches Sperrgebiet.“ Darauf sagten wir: „Okay, jedes Gebiet hat Grenzen.“ Schließlich wird ein Gebiet dadurch definiert, dass es Grenzen hat. „Zeigen Sie uns die Grenzen.“ Nach einigem Hin und Her zeigten sie uns eine Linie, die ziemlich weit weg war. Was sie nicht wussten, war, dass eine Kamera über eine solche Linie hinwegfilmen kann. Und genau das haben wir getan.
Das heißt, dass die israelischen Soldaten echt sind?
Ja.
Sodass die Realität zu einem Teil der Fiktion wird?
Genau. Ich benutze sie, um meine Geschichte zu erzählen. Darum geht es in dem ganzen Film: Wie kann ich meine Umgebung einsetzen, wenn ich meine Geschichte erzählen will? Normalerweise verfügt ein Filmregisseur über die Wirklichkeit, indem er sie der Fiktion anpasst. Aber in Palästina funktioniert das nicht, denn durch die Besatzung ist alles so durcheinander und so irreal. Die ständige Frage ist: Wer verfügt über wen?
Besatzung heißt auch, dass man sich nicht so bewegen kann, wie man möchte. Trotzdem sind die Figuren in „Rana’s Wedding“ ständig unterwegs.
Sicher, der Film ist ja auch ein Roadmovie. Nur dass es in Palästina überall Straßensperren gibt. Deswegen hat sich ein neues Genre herausgebildet: das Road Block Movie. Das ist die Antwort auf die Frage, wie man ein Roadmovie dreht, obwohl man sich nicht bewegen kann.
„Göttliche Intervention“ von Elia Suleiman lässt sich diesem Genre auch zurechnen, nicht wahr?
Ja, klar.
In „Rana’s Wedding“ verlaufen die Bewegungen der Figuren eher im Kreis. Die Erzählung hingegen wirkt sehr zielgerichtet.
Weil es ein Film über unsere Zeit ist, über die Verwirrungen der Gegenwart, den Kontrollverlust, darüber, wie im Chaos aus Besatzung, eigenen Ängsten und gesellschaftlichem Druck eine junge Palästinenserin eine Entscheidung trifft. Sie zweifelt zwar manchmal daran und fragt sich: „Ist er“ – also der junge Mann, den sie heiraten möchte – „überhaupt der Richtige?“ Dennoch ist sie sehr zielstrebig.
Manchmal lässt sie den Blick schweifen, etwa in der Szene, in der eine Beerdigungsprozession an ihr vorüberzieht. Ist das ein politischer Seitenblick?
Nein, eher ein filmischer. Denn hierbei wird an die Präsenz der Kamera erinnert. Normalerweise existiert die Kamera im Kino ja nicht, weil sonst die emotionale Verbindung zwischen der Figur und dem Zuschauer gestört würde. Das kann nämlich niemand leiden. Nur ist es so, dass man als Regisseur manchmal selbst verwirrt ist und damit ehrlich umgehen muss, indem man die Magie zwischen Figur und Publikum außer Kraft setzt. In diesem Sinne geht es eher darum, die stilistische Einheitlichkeit des Films aufzubrechen.
Sie heben stark hervor, dass es um Ranas Entscheidung gehe. In der westlichen Perspektive auf Frauen in einem islamischen Kontext ist meist das Gegenteil der Fall: Sie werden porträtiert als diejenigen, denen jede Entscheidungsfreiheit fehlt.
Ich glaube, dass Emanzipation – ob nun von Frauen oder Palästinensern – eine Frage der Entscheidung ist, und zwar eine, die die Betroffenen selber fällen. Man zahlt einen Preis dafür, aber es ist die eigene Entscheidung. Es ist unmöglich, diese Entscheidung – für oder gegen die Emanzipation – im Namen eines anderen zu treffen. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als hätten palästinensische Frauen weniger Möglichkeiten zu wählen. Aber ich glaube, es geht ihnen so wie Frauen anderswo auch. Im Westen zum Beispiel ist Teilhabe an der Gesellschaft doch auch an Voraussetzungen gebunden. Frauen sind gezwungen gut auszusehen, und das ist nicht unbedingt ihre eigene Entscheidung.
Vor einiger Zeit interviewte ich Eyal Sivan, einen israelischen Filmemacher, der in Paris lebt. Er hat mehrere Dokumentarfilme in palästinensischen Flüchtlingslagern gedreht und konnte dadurch die Position verlassen, die ihm qua seiner israelischen Herkunft zuzukommen scheint. Mit anderen Worten: Er konnte wenn nicht die Seite wechseln, so doch die andere Seite wahrnehmen. Was denken Sie: Ist es notwendig, der jeweils anderen Seite mit Empathie zu begegnen?
Auf jeden Fall. Es gibt keinen Platz für die Palästinenser, solange es keinen Platz für die Israelis gibt und umgekehrt. Und es ist unabdingbar, dass wir die Erzählung des Gegenübers anerkennen. Es gibt Palästinenser, die sagen: „Es ist nicht unsere Aufgabe, den Israelis dabei zu helfen, ihre Traumata und ihre Ängste zu überwinden; schließlich sind wir die Leidtragenden.“ Davon halte ich nichts. Wir müssen den Israelis helfen, ihre Traumata loszuwerden, und wir müssen ihre Ängste verstehen, die Angst davor, eine Minderheit in einer großen Gesellschaft zu sein, die Angst, alles zu verlieren, die Angst, von der Umgebung nicht anerkannt zu werden. Wir Palästinenser müssen diese Erzählung anerkennen, so wie die Israelis unsere Erzählung anerkennen müssen – und dass wir die gleichen Rechte haben wie sie.
Quelle: taz.de
Interview mit Hany Abu-Assad
Können Sie etwas zum Making-Off des Films erzählen?
Wenn Besatzung Realität und Alltag ist, dann wird die Realität Fiktion. Unter der Besatzung fühlen wir das überall; bei jeder Bewegung... Du musst dich in einem illegalen System zurechtfinden, dem der Besatzung. Film ist da keine Ausnahme. Wenn du unter Besatzung einen Film drehst, musst du dich mit einer Menge unerwarteter Situationen auseinandersetzen. Darum war es die Hölle, unter Besatzung zu drehen. Wir wurden in vielen Situationen bedroht und haben unser Bestes getan, den Film so gut wie möglich zu machen. Wir haben die Situation aber auch genutzt, um unsere Geschichte zu erzählen. Das war Teil des Konzepts. Es ist weder einfach unter Besatzung zu drehen, noch unter Besatzung zu leben. Der Film ist ein Teil des Lebens und es war nicht einfach.
Warum haben Sie sich entschieden, den Film an den Originalschauplätzen Jerusalem und Ramallah zu drehen anstatt die Besatzung zu inszenieren?
Weil die Besatzung für mich bereits eine Bühne ist, in dem Sinne, dass Besatzung in Form von Straßenblockaden etwas ist, was nicht als Teil des Lebens betrachtet werden sollte; es ist wie Science Fiction. Daher habe ich Originalschauplätze als Bühne benutzt, weil das für mich bereits Science Fiction ist, etwas Unreales.
Können Sie uns ein oder zwei Beispiele von Situationen geben, die während der
Dreharbeiten passiert sind, um uns eine Vorstellung davon zu geben, was es heißt...
Wir wollten die Schlussszene an einer echten Straßensperre drehen. Am Anfang wollten die Soldaten uns nicht erlauben, an diesem Ort zu drehen. Sie sagten es sei militärisches Sperrgebiet. Wir haben erwidert, dass so ein Gebiet Grenzen haben müsse: „Bitte sagen Sie uns, wo die Grenzen sind, wir würden gerne die Karte sehen, so dass sie uns die Grenzen des militärischen Sperrgebietes zeigen können“. Sicher hat Besatzung keine Grenzen, weil sie etwas Unethisches ist. Wir haben dann aber diesen Begriff „militärisches Sperrgebiet“ missbraucht/gebraucht, um Grenzen zu ziehen. Und am Ende, nach langem Streit haben wir eine Linie als Grenze ausgemacht. Wir haben die Kamera hinter dieser Grenzlinie positioniert, um durch sie hindurch und über sie hinweg filmen zu können. So konnten wir letztendlich die Schlussszene drehen, indem wir diese Art der illegalen/legalen Begrifflichkeiten genutzt haben.
Haben Sie noch ein weiteres Beispiel?
Als unsere palästinensischen Schauspieler israelische Militäruniformen getragen haben: Die echten Soldaten kamen und wunderten sich, was dort vor sich ging. Sie wollten wissen, wer dies ist und wer das ist und ob wir eine Genehmigung hätten. Schlussendlich konnten wir sie überzeugen, einfach zuzugucken was wir machen und haben ihnen erzählt, dass wir nur einen Film drehen. Plötzlich kam einer der Soldaten auf mich zu und sagte: „Hör mal, wir machen das nicht so, wir sind viel barscher. Die sind zu sanft zu ihr.“ Die echten Soldaten kamen zu mir und haben mir erklärt, dass sie in einer solchen Situation viel brutaler wären. Sie haben mich gefragt, ob sie mir das mal zeigen sollten und ich habe erwidert „nein, nein bloß nicht, ich brauche meine Schauspielerin noch ein paar Tage länger und möchte sie nicht mit einer gebrochenen Hand sehen“. Und wir haben die Szene weitergedreht. Für mich war es unglaublich, dass die echten Soldaten uns dabei zugeschaut haben, wie wir eine Szene darüber gedreht haben, was sie täglich tun; verständlich, dass sie Regie führen wollten...
Wenn Sie den Film unter diesen schwierigen und herben Umständen der Besatzung gedreht haben – gab es die Gefahr, dass Sie die Geschichte der jungen Frau aus den Augen verlieren, dass die Besatzung wichtiger wurde als das Innenleben der jungen Frau?
Ich habe versucht, eine Balance zwischen beidem zu erreichen. Ich war bemüht, eine durchgängige, ganzheitliche Lösung zu finden. Wenn sie zum Beispiel innerlich sehr ängstlich ist, ist die Außenwelt auch angsteinflößend. Wenn sie verletzt ist, sehen wir wie in der äußeren Welt ein Haus zerstört wird. Die ganze Zeit über habe ich versucht, eine Parallele zwischen ihrer inneren und äußeren Erfahrung als ganzheitliche Situation
herzustellen.
Aber es bleiben zwei Geschichten, die der Besatzung und die der jungen Frau?
Es sind zwei Geschichten an einem Ort, weil unsere Situation heute sehr verwirrend geworden ist. Du kannst kein geregeltes Leben führen, weil du, wenn du zum Beispiel zur Arbeit gehen willst, zehn Checkpoints passieren musst. Immer geht man das Risiko ein, getötet zu werden. Das macht dein Leben schier zum Abenteuer. Wir leben nahezu in einem Spielfilm, unser Leben ist beinahe zu einem Fiction-Film geworden. Und ich habe diese Situation und dieses Konzept genutzt, um die Geschichte zu erzählen.
Warum haben Sie sich entschieden, diese Geschichte von einer jungen Frau zu erzählen, die von ihrem Vater in eine Situation gezwungen wird, die für sie ziemlich unerträglich und schwierig ist?
Für mich gibt es zwei Elemente in der Geschichte, die beachtenswert sind und es wert machen, sie zu verfilmen: Zum ersten, dass es eine reale Geschichte ist. Als ich die Geschichte gehört habe, dachte ich, es sei die ideale Story für einen Film, weil der wichtigste Faktor im Film die Bewegung ist. Sie sucht nach ihrer Liebe, indem sie sich die ganze Zeit bewegt. Und im Kino geht es um Bewegung und die Dynamik der Entwicklung. Zum zweiten können wir durch diese Bewegung die Umgebung zeigen und ich kann zwei Vögel mit einem Stein schlagen – wie wir auf arabisch sagen. Darum fand ich, dass es eine gute Geschichte für einen Spielfilm ist. Das letzte Element ist die Deadline. Im Kino, im Filmgeschäft hast du ständig eine deadline, zum Beispiel, dass etwas vor vier Uhr passieren muss. Und diese Deadline gibt der Geschichte Spannung. Die Leute fragen sich, was passieren wird. Wird sie es schaffen, vor vier Uhr zu heiraten oder wird es ein Desaster geben? Diese Elemente finde ich gut für einen Film, weil es im Film immer um Dynamik, um Spannung und um die Geschichte geht.
Können Sie noch etwas über die reale Geschichte des Films sagen?
Die Drehbuchautorin ist Liana Badr. Liana Badr ist eine palästinensische Schriftstellerin, die Romane geschrieben hat. Ich glaube, einige ihrer Bücher wurden ins Deutsche übersetzt. Es ist ihre eigene Geschichte. Ihr Vater wollte, dass sie jemanden von der Liste heiratet, auf der er Männer zusammengestellt hatte, die er als gute Ehemänner für sie betrachtete. Sie aber war in einen anderen Mann verliebt, der heute der palästinensische Kulturminister ist, damals aber noch Student war. In den Augen ihres Vaters war er nicht der ideale Ehemann. Sie machte fast genau das, was im Film passiert: morgens um sechs Uhr wegrennen, ihren Geliebten suchen, ihn vor vier Uhr nachmittags heiraten. Sonst hätte ihr Vater sie gezwungen, nach Ägypten zu gehen... Das ist doch eine unglaubliche Erfahrung!
Also ist ihre Geschichte die einer starken, kämpferischen Frau. Hatte sie die selben äußeren Umstände oder waren sie damals anders?
Nein, es war ein anderer Ort. Es war in Amman, glaube ich, nicht in Jerusalem. Aber noch mal, ich finde, es ist sehr passend, die Geschichte in Jerusalem zu drehen und gleichzeitig die Probleme von Jerusalem, von Ost-Jerusalem zu zeigen und die Besatzung... Wie gesagt: Zwei Vögel mit einem Stein...
Wurde der Film vor palästinensischem Publikum in Palästina gezeigt und in
palästinensischen Communities außerhalb? Gibt es eine besondere palästinensische Reaktion auf den Film?
Ja, die erste Vorführung war in Ramallah und wir hatten Vorführungen in Jerusalem und anderen Orten in Palästina. Die meisten Menschen, die unter solchen Umständen leben fühlten sich dem Film sehr, sehr nah, weil sie sich als Teil der Geschichte erkannt haben. Die meisten Reaktionen waren sehr positiv. Ich war froh ihre Reaktionen zu hören, da ich den Film für sie gemacht habe. Die Besatzung hat ihnen Würde genommen und ich habe versucht, ihnen diese Würde durch eine Geschichte, einen Film zurück zu geben. Ich war sehr froh, dass die Leute den Film so mochten.
(Die Fragen stellte Irit Neidhardt, Nazareth August 2003)